DYNAMISCHES MITTEL- UND OSTEUROPA

Der Turm der Karlsbrücke (Karluv Most) in Prag. Die Hauptstadt der Tschechischen Republik bietet mit seiner reichen Geschichte neben seinem Angebot an Gewerbeimmobilien auch Wohnimmobilien im historischen Zentrum und bleibet ein heißes Pflaster für Real Estate Investoren. 

Die CEE-Länder bleiben auch oder gerade in Krisenzeiten ganz oben auf der Prioritätenliste ausländischer Real Estate Investoren stehen. Auch wenn sich das BIP-Wachstum etwas verlangsamt hat, ist gerade der Immobiliensektor ein stabiler und interessanter Bereich, Tendenz steigend. 

Bulgarien, Tschechische Republik, Ungarn, Polen, Rumänien und Slowakei – die sechs wirtschaftlich bedeutendsten Staaten des Mittel- und osteuropäischen Raums (CEE) haben auch im letzten Jahr kaum an ihrer Dynamik eingebüßt. Das BIP-Wachstum in der Region könnte sich laut jüngsten Schätzungen des IWF im Jahr 2023 zwar halbieren, behält aber seinen positiven Charakter. Denn trotz deutlicher Verlangsamung des Wachstums der Volkswirtschaft, gehen langfristige Prognosen davon aus, dass die ECE-6 doppelt so schnell wachsen wie die Eurozone. Von einer Rezession kann demnach keine Rede sein. Im Auge zu behalten ist freilich die Entwicklung der Inflationsraten in Abhängigkeit von der Geld- und Zinspolitik. Fakt ist: Nach wie vor stehen die Schaffung von Arbeitsplätzen, Lohnzuwächse und in- wie vor allem ausländisches Investorenseite auf der Habenseite der CEE-Staaten.  

 

Woher das Geld kommt und wohin es fließt 

Mit rund 10,7 Milliarden Euro ist das CEE-Investitionsvolumen im Jahr 2022 nur um 3,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken, und liegt damit um rund 20 Prozent unter dem prepandemischen Niveau – ein akzeptabler Wert im gesamteuropäischen Vergleich. Auch wenn eine Vorhersage unter den gegebenen komplexen Rahmenbedingungen derzeit schwierig ist, schätzt man bei Colliers, dass das Volumen zum Jahresende 2023 zwischen 7,0 und 10,0 Milliarden Euro liegen könnte. Im Report „CEE Investment Scene for 2022 – 2023“ führen die Experten genaue nach Assetklassen differenzierte Zahlen an: „Der Bürosektor dominierte 2022 mit 38 Prozent des Volumens. Einzelhandel und Industrie folgten mit 27 Prozent bzw. 26 Prozent. In diesen drei Sektoren wurden im Laufe des Jahres zehn große Einzel- oder Portfoliotransaktionen mit einem Volumen von jeweils mehr als 200 Millionen Euro gehandelt, auf die 31 Prozent des regionalen Investitionsvolumens entfielen.“. Daten liegen auch für die regionale Verteilung der Investitionen vor: „Inländisches Kapital aus den CEE-6-Ländern war 2022 mit einem Anteil von 38 Prozent am gesamten regionalen Volumen am aktivsten. Vor allem tschechisches (18,7 Prozent), ungarisches (7,6 Prozent) und rumänisches (6,0 Prozent) Kapital waren für diese starken Zahlen verantwortlich. Es folgten europäisches (21,5 Prozent) und amerikanisches (20,5 Prozent) Kapital. Südafrikanisches Kapital und in geringerem Maße auch Kapital aus dem Nahen Osten waren mit einem Anteil von insgesamt ca. 12 Prozent ebenfalls aktiver. 

Interessant ist ein Blick auf die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Wenn sich westliche Industrieländer aus geopolitischer Räson noch stärker als schon bisher auf jene Länder fokussieren, die ehemals dem „Osten“, sprich Russland zuzuordnen waren, ist davon auszugehen, dass dies der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der CEE-Länder einen zusätzlichen Push verleiht. Stabilisieren sich im Zuge des geschärften Blicks Resteuropas auf die CEE-Region auch die dortigen demokratiepolitischen Rahmenbedingungen weiter, wäre das ein zusätzliches Argument, um Kapital in zunehmend rechtssichere Staaten zu investieren.  


Rückgang ohne Rezession 

Das Jahr 2022 war in vielerlei Hinsicht überraschend, und das Jahr 2023 verspricht noch mehr Unwägbarkeiten, auch wenn sich am Horizont neue Herausforderungen und Chancen abzeichnen. Die geopolitischen Probleme kochten im vergangenen Jahr hoch, und wir müssen erst noch abwarten, wie sie sich in vollem Umfang auf die Volkswirtschaften auswirken werden. Das Gleiche gilt für die weitreichenden Auswirkungen der geldpolitischen Straffung. Dennoch ist Vertrauen in der CEE-Region gegeben“, sagt Silviu Pop, Research Director für CEE & Rumänien bei Colliers. Und mit besonderem Blick auf Rumänien: „Die längerfristigen Aussichten Rumäniens sind nach wie vor intakt, wie die ausländischen Direktinvestitionen zeigen, die nominal ein Allzeithoch erreicht haben. In Verbindung mit den bevorstehenden umfangreichen öffentlichen und EU-Investitionen in wichtige Infrastrukturprojekte klingt das Jahrzehnt für Rumänien sehr rosig, unabhängig davon, wie das Jahr 2023 ausfallen." 

Auch wenn man bei Colliers davon ausgeht, dass es in der nächsten Zeit einen deutlichen Rückgang des Umsatzes auf dem Investitionsmarkt geben wird, stehen die Zeichen also nicht auf Sturm oder Krise. Vielmehr ist die Rede von einer Preisfindungsphase und Investoren, die abwarten reagieren, weil sie nicht Projektrenditen in Kauf nehmen wollen, die gerade aufgrund der Rahmenbedingungen zu niedrig ausfallen. Silviu Pop spricht zudem den „Wahrnehmungswandel“ an, der mit der europäischen Green-Deal-Gesetzgebung in Zusammenhang steht. Umweltfreundliche und effiziente Gebäude werden spürbar in den Fokus gerückt, ESG-Aspekte gewinnen an Bedeutung, wenn geld vom Finanzmarkt generiert werden soll. Analysten erwarten, dass Energieeffizienz und Umweltfreundlichkeit auch in den CEE-Staaten zu absoluten Schlüsselfaktor bei Gebäuden avancieren, ohne die Immobilienunternehmen auch keine ökonomische Aussicht auf Erfolg haben werden.  

 

Office: Großes Flächenangebot, steigende Mieten 

Besondere Gültigkeit hat dies wohl im Bereich des Büro- und Industrieimmobiliensektors, wo der Nachhaltigkeitsfaktor die Mietpreise am Gängelband hat. Die Büroimmobilienmärkte in den CEE-Hauptstädten waren im letzten Jahr übrigens durch eine robuste Nutzernachfrage und steigende Spitzenmieten gekennzeichnet. Das geht aus den CEE Marketbeats von Cushman & Wakefield hervor: „Die Aktivität der Nutzer war 2022 gesund: Der Gesamtumsatz stieg um 18 Prozent im Jahresvergleich. Beim Angebot an Büroflächen ist zwischen den Ländern teils deutlich zu differenzieren. Im Laufe des Jahres war das neue Angebot in Budapest (+517 Prozent) besonders hoch und nahm in Prag (+34 Prozent) zu, während es sich in anderen regionalen Hauptstädten verlangsamte. Insgesamt ging das jährliche Gesamtangebot in CEE im Jahr 2022 um 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Mit über 1,1 Millionen Quadratmeter im Bau befindlicher Büroflächen in den CEE-Hauptstädten, von denen 62 Prozent auf spekulativer Basis entwickelt werden, ist das Angebot an Büroflächen nach wie vor groß. Auf Budapest entfallen 29 Prozent der gesamten im Bau befindlichen Flächen. 

Was die Bürospitzenmieten betrifft, so sind diese laut Cushman & Wakefield Ende 2022 in Warschau, Bukarest und Sofia angestiegen. Auf Jahresbasis wurde in allen CEE-Hauptstädten außer Budapest auch ein Mietwachstum beobachtet: „Der Anstieg der Bau- und Ausstattungskosten trug zum Aufwärtsdruck auf die Bürospitzenmieten bei, und dieser Trend dürfte sich 2023 fortsetzen. Gleichzeitig hat sich das Mietgefälle zwischen den Büroimmobilien in Abhängigkeit von ihrer Effizienz und anderen Merkmalen vergrößert“, heißt es im Report. Auch die Spitzenrenditen für Büroimmobilien in ganz CEE waren im 4. Quartal 2022 einem Aufwärtsdruck ausgesetzt. Mit Ausnahme von Sofia stiegen die Bürospitzenrenditen im Jahr 2022 in allen Hauptstädten der Region, wobei die stärkste Korrektur in Budapest (+0,75 Prozentpunkte) sowie in Prag und Warschau (+0,50 Prozentpunkte) zu verzeichnen war. 

Worauf man sich laut Experten in den CEE Ländern sowie in ganz Europa mit Sicherheit so rasch wie möglich einstellen muss, ist das geänderte Arbeitsverhalten, das mit der Pandemie gekommen ist, um zu bleiben. Klar ist, dass die neue Arbeitsweise, sprich weniger aktive Bürozeit, mehr Homeoffice, die Flächengestalter zu neuen Ideen zwingt. Die Diskussion darüber, wie Mitarbeiter arbeiten werden, ist übrigens besonders in Ungarn und Rumänien aktuell ein viel diskutiertes Thema. So haben einige Unternehmen, am Beispiel der Telekom Ungarn, eine 4-Tage-Woche eingeführt. In Rumänien wurde wiederum im Parlament ein Gesetzesentwurf eingebracht, der künftig vier 10-Stunden-Arbeitstage pro Woche ermöglichen könnte. 

 

Verändertes Wohnen und Einkaufenwachsender Industrie-Logistik-Bereich 

Der Wohnungssektor wird tiefgreifende Veränderungen erleben, und Experten erwarten, dass sich die Entwicklung auf der Mietseite im Jahr 2023 beschleunigen wird. Wenn die wirtschaftlichen Bedingungen in den nächsten Jahren nicht besonders schlecht werden, dürften die Preise nicht allzu sehr sinken, selbst wenn die höheren Zinsen die Zahl der potenziellen Käufer verringern, da die Wohnungspreise in der Region viel näher am Marktwert liegen als in der Vergangenheit“, schreibt Fachinsider Deniza Christian auf dem Portal busines-revew.eu. Dennoch würden weniger Käufer bedeuten, dass mehr Menschen das Mieten in Betracht ziehen. Der private Mietsektor begann erst in den letzten Jahren für Investoren und Entwickler interessant zu werden, wobei Polen in der CEE-6-Region klar die Nase vorn hat. Andere Länder werden folgen, womöglich schneller als erwartet. Keine Anzeichen einer Verlangsamung ortet Christian im Sektor der Industrie- und Logistikimmobilien: „In den meisten Ländern wird man das Rekordniveau der letzten Jahre halten können. Pro Kopf liegt der moderne Industrie- und Logistikbestand in den CEE-6-Ländern nach wie vor deutlich unter dem eines "normalen" westlichen Landes, so dass mittelfristig noch viel Spielraum für Wachstum vorhanden ist.“ Klar sei: Die wirtschaftliche Dynamik eines Landes und seine Infrastruktur bestimmen, wie schnell jeder Teilmarkt wachsen kann. 

Im Retail-Bereich ortet Deniza Christian ein Verschwimmen der Grenzen zwischen stationären Geschäften und E-Commerce, da immer mehr Akteure beides in ihre Geschäftsmodelle integriert haben, wobei viele versuchen, das Kundenerlebnis durch den Omnichannel-Ansatz zu optimieren: „Interessanterweise kauft - mit Ausnahme von Ungarn (wo der Anteil geringer ist) - etwa jeder Zweite in den CEE-6-Ländern nicht nur online ein, weil er das Produkt vor dem Kauf lieber sehen möchte. Dennoch ist diese (möglicherweise) kulturelle Zurückhaltung beim Online-Einkauf genau der Grund, warum ein BOPIS (online kaufen, im Laden abholen) in den CEE-Ländern recht gut funktionieren könnte. 

 

Attraktivität am Beispiel Tschechien 

Wie interessant der Real Estate Sektor in den CEE-Ländern ist und wie attraktiv Immobilieninvestitionen hier nach wie vor sind, hat sich laut Fachleuten gerade in den letzten Jahren der permanenten Weltwirtschaftskrise gezeigt. „Sie werden auch in Zukunft eine attraktive Anlagemöglichkeit bleiben“, ist Jan Rydl, Country Manager Tschechien bei Arnold Investments, überzeugt. In einem aktuellen Interview mit dem Property Forum gab er Detailansichten zu den Trends auf dem CEE-Investmentmarkt am Beispiel Tschechien preis: „Wir haben in den letzten Wochen wieder ein deutlich höheres Interesse sowohl von Verkäufern als auch von Käufern an einer aktiven Teilnahme an Verkaufsprozessen festgestellt. Jetzt sind wir gespannt, ob und wie sich diese Strategie im Jahr 2023 fortsetzt. Einen Ausblick auf dieses Jahr zu geben, halte ich angesichts der unsicheren mikro- und makroökonomischen Rahmenbedingungen für sehr schwierig. Aber so viel sei gesagt: Immobilieninvestitionen haben ihre Qualitäten bewiesen, vor allem in Zeiten der Krise und der Unsicherheiten. Daher gehe ich davon aus, dass sie eine attraktive Anlagemöglichkeit bleiben werden, insbesondere für internationale Investoren, die auf der Suche nach attraktiven Renditen sind und deshalb in der CEE-Region investieren.“ Und Rydl weiter: „Die Tschechische Republik ist etwa ein strategischer Standort für Investitionen, insbesondere in den Bereichen Logistik, Industrie, Bürogebäude und Einzelhandel. Prag mit seiner reichen Geschichte bietet neben seinem Angebot an Gewerbeimmobilien auch Wohnimmobilien im historischen Zentrum.  Aus einer breiteren Perspektive gehen wir davon aus, dass die CEE-Immobilieninvestmentmärkte, einschließlich der Tschechischen Republik, im Laufe des Jahres 2023 zunehmend in den Fokus von zwei Arten von Investoren geraten werden. Auf der einen Seite gibt es lokale Aktieninvestoren, die sich gegen die Inflation absichern wollen, und auf der anderen Seite gibt es Euro-Investoren, die zunehmend gezwungen sind, ihre Portfolios in Richtung höherer Renditechancen zu diversifizieren.“ Nach Assetklassen differenziert hält Rydl fest: „Aus unseren Zahlen geht hervor, dass sich die Investitionstätigkeit bei Büroimmobilien im Jahresvergleich nahezu stabil entwickelt hat, während sich das Investitionsvolumen im Einzelhandel aufgrund großer Portfolio- und M&A-Deals fast verdreifacht hat. Darüber hinaus sind die Spitzenanfangsrenditen für CBD- und dezentrale Class-A-Bürogebäude in Prag seit Q4 2021 um 60 Basispunkte gestiegen und liegen nun bei 4,80 bzw. 5,90 Prozent.“ Tschechien bleibt also hoch interessant und so verhält es sich auch mit weiten Teilen der CEE-6. 

Beim Angebot an Büroflächen ist zwischen den CEE-Ländern teils deutlich zu differenzieren. Den größten Zuwachs an neuen Büroflächen erlebte im Vorjahr Ungarns Kapitale Budapest. Insgesamt ging das jährliche Gesamtangebot in CEE im Jahr 2022 um elf Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. 

Die ausländischen Direktinvestitionen in Rumänien haben 2022 nominal ein Allzeithoch erreicht. In Verbindung mit den bevorstehenden umfangreichen öffentlichen und EU-Investitionen in wichtige Infrastrukturprojekte klingt das Jahrzehnt für Rumänien sehr rosig, unabhängig davon, wie das Jahr 2023 ausfallen. (Im Bild: Parlamentspalast in Bukarest, das größte Gebäude Europas) 

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