VON DIGITALISIERUNGSVORBILDERN BIS ALARMSTUFE-ROT-MARKTSEGMENTEN

Die wehenden Fahnen in der Europa-Stadt Brüssel können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Wirtschaft und Immobilienmarkt von der Krise der letzten Jahre gezeichnet sind. Symbolisch dafür steht der kriselnde Büromarkt: Mit einem Flächenumsatz von 295.000 Quadratmeter wurde 2022 das fünfjährige Mittel um 29 Prozent unterschritten
So verdichtet das Kürzel Benelux ist, so breit streuen die drei Länder in ihren Marktsituationen. Während Belgien schwache Immobiliendaten vorweist, scheinen die Niederlande gut aus der Krise zu kommen. Luxemburg ist gespalten: Wohnmarkt problematisch, Büromarkt in guter Verfassung.
Belgien: Teures Wohnen
Blickt man auf die Expertenanalysen der belgischen Wirtschaftszeitungen, fällt auf: So wenige Hypotheken- und Darlehensabschlüsse für den Haus- und Wohnungskauf wie aktuell gab es in Belgien nie zuvor. Nach Jahren des Aufschwungs ist die Hausse vorbei. Die Preise sinken ebenso wie die Zahl der Vertragsabschlüsse für den Eigentumserwerb, letztere um rund zehn Prozent in der zweiten Jahreshälfte 2022 im Vergleich zu den ersten sechs Monaten. 2023 scheint sich der Trend fortzusetzen, verschärft, denn im Jänner und Februar wurden 47 Prozent weniger Kauftransaktionen getätigt als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Gemäß den Angaben von Notaris, dem Verband der belgischen Notare, liegt der derzeitige Wert rund 50 Prozent unter dem Durchschnittswert der letzten fünf Jahre. Die Gründe steigen auf der Hand zu liegen: steigende Lebenserhaltungskosten, anwachsende Zinsen, galoppierende Inflation, schwierige wirtschaftliche Gesamtlage. Die Inflation wirkt sich auch auf die Mietpreise aus. Die sind laut belgischen Maklerverbänden in Flandern um rund fünf Prozent gegenüber 2021 gestiegen. Ähnlich präsentiert sich die Situation auf dem Brüsseler Mietmarkt. Das liegt nicht zuletzt an der ansteigenden Mietnachfrage, da der Erwerb von Wohneigentum stetig unleistbarer wird. „Die Zinsen für Wohnkredite steigen. Es wird für viele Menschen schwieriger werden, eine Wohnung zu kaufen. Die Gruppe dieser Interessenten bleibt dadurch länger auf dem Mietmarkt, wodurch die Knappheit an diesem Markt größer wird,“ so Kristophe Thijs von CIB (Confederatie voor Immoberoepen): „Maklerbüros erzählen uns, dass sie für energiesparende Wohnungen mehr als 50 Kandidaten haben.“ In Brüssel haben nach rund zwei Jahren Stagnation die Mieten 2022 deutlich angezogen. Im Durchschnitt zahlt man in der Hauptstadt für ein Zwei-Personen-Appartement derzeit 1.100 Euro Miete, für ein Reihenhaus 1740 Euro.
Belgien: Wenig Büroflächenumsatz
Der Blick auf den Büromarkt ist wenig erfreulich. Mit einem Flächenumsatz von 295.000 Quadratmeter wurde 2022 das fünfjährige Mittel um 29 Prozent unterschritten, so die Analyse der Spezialisten von DEKA: „Gründe hierfür waren die Verunsicherung über die konjunkturelle Entwicklung, aber auch das begrenzte verfügbare Angebot an hochwertigen Flächen.“ So entfielen nur 32 Prozent vom Umsatz auf Class-A-Gebäude, 30 Prozent auf Class-B- und 38 Prozent auf Class-C-Objekte. Die Nachfrage wurde laut DEKA mit 71 Prozent durch den Unternehmenssektor dominiert. Der Leerstand sank hingegen, gemäß DEKA aufgrund begrenzter spekulativer Fertigstellungen und der prolongierten Umnutzung obsoleter Gebäude. In Sachen Fertigstellung ist der Rückgang gegenüber 2021 signifikant ausgefallen, 2023 erwarten die Analysten einen weiteren Rückgang auf 130.000 Quadratmeter: „Im europaweiten Vergleich wies Brüssel eine der niedrigsten Bauquoten in Relation zum Bestand auf.“ Immerhin, so die Zahlen aus dem DEKA-Report, summierte sich 2022 der landesweite Büro-Investmentumsatz auf hohe 3,6 Milliarden Euro und verfehlte damit nur leicht das Rekordergebnis aus dem Jahr 2020. Das fünfjährige Mittel von 2,6 Milliarden wurde jedenfalls bei weitem übertroffen: „Die Hauptstadt trug zu 83 Prozent des Umsatzes bei. 53 Prozent entfielen auf Core-Deals, weitere 24 Prozent auf das Value Add-Segment. Die Spitzenrendite für Bürogebäude mit Standardverträgen stieg 2022 infolge des geänderten Zinsumfeldes und der stark gestiegenen Finanzierungskosten auf 4 Prozent, bei langfristigen Mietverträgen auf3,6 Prozent“ Bei DEKA rechnet man mit weiteren Anpassungen im heurigen Jahr.
Niederlande: Digitalisierungsvorbild
Spricht man über die Niederlande, sollte die Rede zuerst auf die überraschenden volkswirtschaftlichen Daten kommen. Denn die niederländische Wirtschaft hat 2022 mit einem Wirtschaftswachstum von 4,3 überrascht. Das Land, das mit einem Anteil von fünf Prozent am EU-BIP die sechstgrößte Wirtschaftsmacht in der EU, weltweit der sechstgrößte Exporteur von Waren und das viertreichste Land der Welt ist, hat damit das Ergebnis von 2021 beinahe wiederholt und insofern eine überraschende Stabilität trotz Krise unter Beweis gestellt. Angemerkt werden muss allerdings, dass das Wirtschaftswachstum durch eine zeitweise explodierte Inflationsrate von 11,6 Prozent Anfang 2023 erheblich gedämpft wird. Dennoch überwiegt das Positive in dem Kleinen EU-Staat, der mit einer Wirtschaftsleistung von 1.013 Milliarden Euro im Jahr 2022 sich an der 17. Stelle der Weltwertung befindet. Trotz Krise ist auch die Zahl der Firmenkonkurse 2022 weiter historisch tief. Experten erklären dies zum Teil mit gut gelungenen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen während der Corona-Krise und andererseits insbesondere mit der modernen digitalen Infrastruktur, die die großflächige Umstellung auf Homeoffice im Eiltempo ermöglicht hat.
Der hohe Grad an Digitalisierung gilt in den Niederlanden auch als Treiber in der Bau- und Immobilienwirtschaft. „Das bietet in vielen Bereichen Vorteile – beim Thema Wiederverwendung und Recycling helfen ,digitale Zwillinge‘ von Bauwerken und elektronische Marktplätze für gebrauchte Module, die Lebensdauer einzelner Teile zu verlängern und den Ressourceneinsatz deutlich zu drücken“, sagt Isabella Chacón Troidl, CEO BNP Paribas REIM Deutschland, die die Niederlande ebenfalls an erster Stelle der europäischen Länder reiht, wenn es darum geht, wer besonders schnell, kostengünstig und ressourcenschonend baut. Letzteres hängt mit der Verwendung nachhaltiger Baustoffe, vor allem Holz, zusammen, die in den Niederlanden viel verbreiteter ist als etwa beim Nachbarstaat Deutschland.
Die Digitalisierung im Bereich der Immobilienwirtschaft beeindruckt beispielsweise auch Oliver Wittke, Hauptgeschäftsführer des Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA), der die Niederlande in diesem Bereich als vorbildlich beschreibt: „In den Niederlanden ist es nicht mehr möglich, einen Bauantrag auf Papier einzureichen – davon sind wir in Deutschland weit entfernt.“ Das fördert zudem das Tempo bei Genehmigungsverfahren im Bau, weil die Digitalisierung dazu beiträgt, dass Prozesse entbürokratisiert werden: „Wir können etwa beim Wohnbau sehr viel von unserem Nachbar lernen. Dort sind die Baustandards weniger hoch als in Deutschland, und trotzdem stürzen die Gebäude nicht ein. Die Kommunalverwaltungen sind viel flexibler als bei uns und auch bei der Partizipation und dem Einbinden von Nachbarschaften agieren die Niederlande so wie man sich das wünscht.“
Niederlande: Fokus Energie bei Büros
Das alles bedeutet dennoch nicht, dass alles nur rosa ist. Nach beinahe einem Jahrzehnt Hochkonjunktur auf dem Immobilienmarkt, scheint sich in den letzten Monaten auch hier der Wind zu drehen. „Deutlich mehr Verkaufsschilder ,Te koop‘ sind in den Fenstern und vor den Türen zu sehen. Der subjektiv beobachtete Umschwung schlägt sich nun auch in Zahlen nieder – und in Prognosen für kommendes Jahr“, bemerkt dazu Klaus Max Smolka, Wirtschaftsfachmann der Frankfurter Allgemeine. Fakt ist nämlich, dass Ende 2022 auch in den Niederlanden die Preise auf dem Wohnimmobilienmarkt um sechs Prozent gegenüber Anfang des Jahres gefallen sind. Man könnte von einer gesunden Preiskorrektur in Anbetracht der Tatsache schreiben, dass seit 2021 Preissteigerungen von 15 bis 20 Prozent im Jahr nicht ungewöhnlich waren und Mitte 2022 Höchstwert erreicht wurden. Dazu gesagt sei, dass der Wohnungsmarkt in den Niederlanden etwas anders aufgebaut als etwa in Deutschland. Die Mehrheit der Niederländer wohnt in einem Eigenheim bzw. einer Eigentumswohnung. Auch ziehen die Niederländer im Schnitt häufiger um als Deutsche. Die allermeisten Wohnungen und Häuser werden im Bieterverfahren verkauft. Im Jahr 2022 war die Nachfrage mancherorts so groß, dass die Häuserpreise bis zu 15 Prozent und mehr überboten wurden. Dies galt vor allem für sehr gefragte Gegenden und Städte, wie beispielsweise Amsterdam oder Utrecht.
Auch auf dem Büromarkt scheint die weltweite Krise die Niederlande weniger betroffen zu haben als andere Länder. Wenn von Rückgang die Rede sein soll, dann fällt dieser eher moderat aus. So fiel 2022 der Flächenumsatz 2022 etwas niedriger aus noch im Jahr zuvor, was nicht zuletzt mit fehlenden Großdeals zu tun hat. Im Fokus stehen, wie in den meisten EU-Ländern, moderne hochwertige Büroobjekte, während minderwertige Qualität mit einem massiven Anstieg der Leerstandsquote bestraft wird – die etwa am Gesamtmarkt Amsterdam aktuell rund sieben Prozent ausmacht und damit relativ niedrig ist. Die Modernisierung der Bürogebäude wird durch die Gesetzgebung befeuert. So dürfen bereits seit Anfang 2023 nur noch Objekte bis einschließlich Energiestandard C vermietet werden. Ab 2030 gar nur noch A-Objekte. Die Mieter haben darauf schon reagiert. So berichtet das internationale Immobilienunternehmen Savills, dass sich der Anteil des Energielabels A an der Nachfrage nach Büroflächen zwischen 2011 mit 24 Prozent auf 53 Prozent im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt hat. Die Nachfrage konzentriert sich vor allem auf Amsterdam, Rotterdam und Utrecht und wird nach Prognosen von Savills unvermindert anhalten. Das Angebot an Büroflächen reduziert sich dadurch deutlich, denn 1,3 Millionen Quadratmeter Büros müssten auf Grund der staatlichen Nachhaltigkeits-Regeln saniert werden, um weiterhin vermietet zu werden. Der landesweite Umsatz mit Büroimmobilien belief sich 2022 übrigens laut DEKA-Analyse auf rund vier Milliarden Euro, was einem Rückgang von acht Prozent gegenüber 2021 bedeutet. 44 Prozent entfielen auf den Großraum Amsterdam, wo die Nachfrage im europaweiten Vergleich überdurchschnittlich durch ausländische Investoren geprägt ist.
Luxemburg: Alarmstufe rot bei Wohnimmobilien, alles gut im Office-Sektor
Gerade mal 645.000 Einwohner zählt das Großherzogtum Luxemburg, Tendenz (relativ) stark steigend, vor allem durch Einwanderung. Rund 10.000 Menschen beträgt der jährliche Netto-Zuwachs aus dem Ausland nach Luxemburg, wo gemäß einer Eurostat-Studie das Einkommensniveau zweieinhalbfach so hoch wie jenes des durchschnittlichen Europäers. Nachfrage nach Wohnraum ist demnach vorhanden, der verfügbare Wohnraum pro 1.000 Einwohner sinkt seit zehn Jahren stetig. Weniger Wohnungen für mehr Menschen sollte nach den Marktgesetzen den Preis treiben. Tatsächlich sind die Wohnungspreise in den vergangenen Jahren sogar deutlich stärker gestiegen als die Einkommen der potenziellen Käufer. Doch die Zinswende hat auch in Luxemburg zugeschlagen. „Schockstarre“ nennt Pit Scholtes vom Portal reporter-lu den Status quo: „Wohl kaum ein Wort charakterisiert die Lage auf dem Luxemburger Immobilienmarkt derzeit besser. Der Grund: Die Zinswende der Europäischen Zentralbank hat für eine Vollbremsung auf einem aufgeheizten Markt gesorgt. Die Zeichen stehen auf Rot: Es werden deutlich weniger Immobilien verkauft und gebaut.“
Vereinfacht gesagt: „Die Preise sind nicht mehr mit den Finanzierungskosten der Haushalte vereinbar.“ Laut Scholtes ist sowohl die Anzahl der ausgestellten Baugenehmigungen als auch die Zahl notarieller Kaufakte stark rückläufig. Die Zahlen der Zentralbank zu den Immobilienkrediten bestätigen diesen Trend. Auch dort war ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Preisabsturz? „Das wäre weder erwünscht, noch wünschenswert“, sagt Michel-Edouard Ruben, Ökonom vom Handelskammer Think-Tank Idea: „Denn dann droht aus einer Wohnungskrise eine Immobilienkrise zu werden, mit allen Folgen für einen Sektor, der direkt oder indirekt 15 Prozent der Beschäftigung in Luxemburg ausmacht.“
Als ein Jahr des Übergangs sehen Experten 2022 in Bezug auf den Büroimmobilienmarkt. Zwar gibt ist es zum ersten Mal seit ewig einen Rückgang beim verfügbaren Volumen, Anlass zu Sorgen gebe das laut JLL-Fachmann Lotfi Behlouli aber nicht: „Dieser Rückgang ist kein Anzeichen einer Krise. Der Luxemburger Büromarkt entwickle sich gut und sei gesund. Die Leerstandsrate ist weiterhin eine der niedrigsten in Europa.“ Landesweit sind gemäß JLL-Recherche nur 3,5 Prozent der Büroflächen ungenutzt. Nach 3,6 Prozent im Vorjahr, und 3,8 Prozent in den Jahren zwischen 2021 und 2021. Europaweit liegt die Quote bei deutlich höheren 7,2 Prozent.
Für die Zukunft und das nun angelaufene Jahr 2023 ist Lotfi Behlouli optimistisch. Da einige große Projekte, wie etwa das Skypark-Gebäude am Findel, fertig werden sollen, rechnet er mit einem kleinen Anstieg der Leerstandsrate, glaubt jedoch, dass die Mieten stabil bleiben werden: „Die Nachfrage ist weiterhin stark.“

Kaum in einem anderen Land Europas setzt man so sehr auf energieeffiziente Office-Objekte wie in den Niederlanden. So dürfen bereits seit Anfang 2023 nur noch Objekte bis einschließlich Energiestandard C vermietet werden, ab 2030 gar nur noch A-Objekte.

Ein Blick auf die Altstadt von Luxemburg-Stadt, Hauptstadt des Großherzogtums Luxemburg. Jahrelang sind die Wohnungspreise in den vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen als die Einkommen der potenziellen Käufer. Doch die Zinswende hat auch in Luxemburg zugeschlagen und sorgt gerade für eine Trendwende.
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