INFLATION UND ZINSANSTIEGE: EIN GEFÄHRLICHER COCKTAIL AM BALTISCHEN IMMOBILIENMARKT

Luftaufnahme des Zentrums von Vilnius, Hauptstadt der Republik Litauen, das rund 2,9 Millionen Einwohner hat und als größter der baltischen Staaten mit 65.286 Quadratkilometer eine Fläche in etwa der Größe Bayerns umfasst.
Die baltischen Ländern - so unterschiedlich sich die Wirtschaftsmärkte im Detail ausnehmen – verbindet der gemeinsame Nenner, Vorreiter bei der Digitalisierung zu sein. Das wirkt sich positiv auf die Leistung aus, auch im Immobiliensektor. Allerdings bereitet die außergewöhnlich hohe Inflationsrate große Kopfzerbrechen.
Estland, Litauen und Lettland vereinen etwa sechs Millionen Menschen, die sich auf 175.000 Quadratkilometer verteilen, rund die Hälfte der Fläche Deutschlands. Warum Estland, Lettland und Litauen traditionell zu den wichtigsten Handelsstaaten der Ostsee gehören, wird klar, wenn man sich die Stärken der Länder genauer ansieht. Was alle drei Länder eint, ist, dass sie zu den Vorreitern Europas in Sachen Daten/ Informationsinfrastruktur zählen.
Digitalisierungsvorreiter und Inflationssorgenkind
So besitzt Litauen laut dem Report „Wirtschaftsprofil Baltische Staaten“ der Deutsch-Baltischen Handelskammer (AHK) das schnellste öffentliche Internet Europas, das sich mit Uploadraten von bis zu 32 Mbps abzeichnet. „Mehr als ein Drittel der Einwohner verfügt über eine Glasfaser-Internet-Verbindung – ebenfalls ein Spitzenwert. Litauen ist das Land in Europa mit dem höchsten Anteil an Glasfaseranschlüssen. Rund 83 Prozent aller Breitbandanschlüsse werden in dem baltischen Land per Glasfaser realisiert. In Deutschland liegt der Glasfaseranteil bei nur rund 4,1 Prozent“, so die Experten der AHK. Auch in Estland ist die IT-Nutzung bei der digitalen Abwicklung von Behördengängen in Form von e-governance und e-Identity, bei der Gewährleistung sicherer Gesundheitsdaten durch Blockchain-Technologien oder bei einer Unternehmensgründung alltäglich. „Estland entwickelt sich kontinuierlich zum europäischen Pionier in den Bereichen CyberSecurity, Implementierung von IT-Anwendungen und Suchmaschinenoptimierung. Als Unicorn-Fabrik (weltweit höchste Unicorn-Dichte pro Kopf) zieht das Land mit bürokratischer Einfachheit und unternehmerischem Ehrgeiz sehr erfolgreich Start-Ups, internationale FuE-Zentren und ausländische Investoren an“, heißt es im AHK-Report, der auch Lettland ein ähnlich gutes Zeugnis ausstellt. Potenziale für Investoren gibt es jedenfalls genug, etwa auf dem Gebiet der Cyber-Sicherheit. Neben der Informations- und Kommunikationstechnik sind es die Bereiche Energieeffizienz, Chemische Industrie, Elektronik und Elektrotechnik, Transport und Logistik sowie Erneuerbare Energien, die zu den Wachstumsbranchen des Baltikums gehören.
Was die baltischen Staaten ebenfalls gemein haben – diesmal im Negativen – ist, dass sie unter der höchsten Inflation in der Eurozone leiden. Bis zu 20 Prozent betrug die Inflationsrate im Vorjahr. Die Bekämpfung der hohen Inflation mit dem Bekenntnis zu Zins-Anhebungen hat auf dem Immobilienmarkt für massive Probleme gesorgt. „Denn ähnlich wie in Australien ist im Baltikum der Anteil an variabel verzinsten Krediten sehr hoch – je höher die Zinsen steigen, umso schwerer wiegen also die Schulden der Kreditnehmer: Steigen die Zinsen kräftig an, müssen die Schuldner dramatisch steigende Monatsraten hinnehmen – was viele ab einem bestimmten Punkt dann nicht mehr verkraften können. Was droht, ist ein Crash auf dem Immobilienmarkt“, analysierte Ende 2022 Markus Fugmann, Chefredakteur des Portals Finanzmarktwelt.de.
Fakt ist: Neun von zehn Hypothekennehmern im Baltikum sind an variabel verzinste Darlehen gebunden, deren Kosten zuletzt stark in die Höhe geschnellt sind. „Die Umstellung auf höhere Zinsen könnte zu keinem schlechteren Zeitpunkt erfolgen. Die Inflation, gepaart mit einer sich verlangsamenden Weltwirtschaft und absehbar steigenden Energiekosten im Winter, treibt die Region auf eine Rezession zu“, analysiert Fugmann und verweist auf eine Aussage des Wirtschaftswissenschaftler bei der Citadele Banka in Riga, Martins Abolins: „Dies wird sich auf bestehende Kredite in einem viel größeren Ausmaß auswirken als in anderen Ländern der Europäischen Union.“ Haus- und Geschäftskredite passen sich im Gleichschritt mit den Interbankensätzen an. „Bei monatlichen Nettogehältern von durchschnittlich 1.350 Euro in Estland und weiteren bevorstehenden Zins-Erhöhungen durch die EZB wird dies ein Schock für Kreditnehmer sein, die sich an ultrabillige Kredite gewöhnt hatten“, so Fugmann, laut dem die Notlage der baltischen Staaten einen Nachteil der Euro-Mitgliedschaft für einige der kleineren Länder des Blocks widerspeigelt. „Während die Inflation in der gesamten 19 Mitglieder zählenden Währungsunion in die Höhe geschnellt ist, hat sie in den baltischen Ländern schon früher eingesetzt, und zwar lange bevor die EZB die Zinsen anhob. Im Moment akzeptieren die baltischen Länder, dass die höheren Kosten, die sie zu tragen haben, eine berechtigte Folge der Unterstützung der Ukraine bei der Verteidigung gegen die russische Aggression sind.“ Der Energiepreisanstieg ist „eine Kriegssteuer, die wir zahlen müssen“, sagte der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins im Vorjahr. Die Ukraine „bezahlt mit Leben und wir mit Geld“. Zugleich hofft der Chef der litauischen Zentralbank, Gediminas Simkus, dass höhere Zins-Sätze dazu beitragen werden, den übermäßigen Anstieg der Immobilienpreise abzumildern.
Investment- und Büromarkt
Während 2021 ein rekordverdächtiges Jahr war, hat sich das Investitionsvolumen in Estland und Lettland 2022 wieder auf ein normales Niveau eingependelt. Laut Colliers Report blieben die Renditen bis zum Jahresende unverändert, jedoch übten die höheren Zinssätze einen großen Druck auf die Investitionstätigkeit aus, was Käufer eher zum Abwarten auf ein Sinken der Preise verführte. Ein besonders aktives Jahresende 2022 erlebte Litauen, wobei speziell der Einzelhandelssektor dazu beitrug.
Die Investitionen in anderen Segmenten blieben dagegen verhalten. Im Vergleich zum Vorquartal blieben die Spitzenrenditen stabil und haben das Potenzial, im kommenden Jahr zu steigen. In Estland und da vor allem in der estnischen Hauptstadt Tallinn gilt wiederum der Bürosektor als Treiber der Aktivitäten. Laut Collier wurden alleine Im vierten Quartal 2022 sieben neue Bürogebäude mit einer Gesamtnutzfläche von 47.250 Quadratmeter fertiggestellt: „Trotz der eher ruhigen Nachfrage verzeichnete der Markt mehrere bedeutende Vorvermietungen, die auf Verlagerungen und Erweiterungen im IKT-Sektor zurückzuführen sind. Der Leerstand schwankt weiterhin um acht Prozent. Darüber hinaus führen einige nicht wirklich positive Nachrichten aus den Bereichen Programmierung, Blockchain und Callcenter in Estland (Personalabbau, Einfrieren von Verlagerungsplänen) zu einem wachsenden versteckten Leerstand, der sich in der ersten Hälfte des Jahres 2023 zu einem physischen Leerstand entwickeln könnte“, so die Colliers-Marktforscher, die in Riga, der Hauptstadt Lettlands, wiederum aktuell einen starken Wettbewerb um Office-Ankermieter orten: „Steigende Nebenkosten in älteren Gebäuden, Telearbeit und ein sinkendes Verhältnis von Büroflächen pro Mitarbeiter ermöglichen es den Mietern, bei gleichem Budget in kleinere, aber besser gelegene und hochwertigere Räumlichkeiten umzuziehen. Auch wenn viele Mietverträge theoretisch einer hohen Indexierung unterliegen, sind Vermieter in älteren Gebäuden gezwungen, die Indexierung zu begrenzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, so die Analyse. Vilius, Hauptstatt von Litauern, zeigte hingegen zu Jahresende keine besondere Aktivität im Bürosektor. Laut Colliers bleiben die Mietpreise stabil, mit Duck auf Flächen der Klasse A. Der Gesamtleerstand sank auf 7,7 Prozent.
Retail und Industrial
Im Einzelhandel stand laut Colliers im Jahr 2022 die Inflation im Mittelpunkt des Interesses. Vermieter liebäugeln mit einer vollständigen Indexierung, seien jedoch bereit für einige Mieter individuell andere Optionen zu diskutieren. In Estland etwa, das auf einem traditionell aktiven Einzelhandelsentwicklungsmarkt verweisen kann, reicht die Indexierungsspanne von drei bis zehn Prozent bis hin zur vollständigen Anpassung an die Inflationsraten. Im Fokus stehen bei Entwicklungen übrigens nicht nur die Hauptstadt, sondern auch Gebiete außerhalb der Stadtgrenzen von Tallinn. Bemerkenswert ist, dass Outlets und Discount-Ketten, die Bekleidung und Haushaltswaren zu niedrigsten Preisen anbieten, weiterhin einen großen Anteil am Umsatz in allen Arten von Einkaufszentren in ganz Estland haben.
Das Einzelhandelssegment ist gemäß Colliers auch in Vilnius von Bedeutung, wobei aktuell vor allem eine Hausse bei Fachmarktzentren zu beobachten ist. Ähnlich wie in Estland haben einige internationale Discounter-Ketten wie Pepco, Sinsay und Lidl in jüngster Zeit ihre rasche Expansion vorangetrieben. „Aufgrund des Krieges und der damit verbundenen Unsicherheit wurden die Pläne für den Markteintritt neuer Marken zwar vorübergehend ausgesetzt. Aber wenn sich die Lage in der Region im Jahr 2023 nicht verschlechtert, ist in Litauen und den anderen baltischen Staaten mit dem Auftauchen neuer Marken zu rechnen. Abgesehen davon sind die Mieten in erstklassigen Shopping Centers gestiegen, während der Leerstand niedrig und stabil bleibt“, so die Rport-Autoren.
Interessant ist die jüngste Entwicklung des Industriesegments, am Beispiel von Tallinn. „Obwohl im vierten Quartal 2022 eine Abschwächung des Wachstums und sogar ein gewisser Rückgang der Baupreise zu verzeichnen war, haben sich die Anzahl und das Volumen neuer Projekte, mit denen im Laufe des Quartals begonnen wurde, weiter verringert, und der Großteil des Volumens der im Bau befindlichen Projekte wird von mehreren großen Developern generiert“, so die Colliers-Experten. Und weiter: „Größere Unternehmen bevorzugen nach wie vor den Built-to-Own-Ansatz, obwohl der Mangel an großen freien Grundstücken sie dazu zwingt, sich verstärkt nach bestehenden Gebäuden umzusehen und/oder ihre Mietverträge an ihren derzeitigen Standorten zu höheren Mieten zu verlängern.“ Trotz der jüngsten Bedrohungen und Herausforderungen in diesem Segment bleibt die Gesamtleerstandsquote übrigens mit 2,7 % niedrig.
In Lettland wurde einige Projekte, deren Inbetriebnahme für Ende 2022 geplant war, auf die erste Hälfte des Jahres 2023 verschoben. Dazu der Colliers Report mit Zahlen: „Derzeit befinden sich noch 128.370 Quadratmeter vermietbare Industriefläche im Bau. Die Nachfrage nach Industrie- und Lagerflächen bleibt stabil, der Leerstand auf dem Markt bleibt mit 0,8 Prozent extrem niedrig, da keine neuen spekulativen Projekte in Betrieb genommen werden, während die kurz vor der Fertigstellung stehenden Projekte vollständig vermietet sind.“ Aufgrund des Mangels an Optionen auf dem Markt sei zu erwarten, dass die obere Mietpreisgrenze für neue Entwicklungen steigen wird. Stabilität ist auch das passende Stichwort für den Industrieimmobilienmarkt in Vilnius. Die Colliers-Experten sehen dabei eine aktive Entwicklungspipeline und ein Volumen der im Bau befindlichen Projekte das 2022 um 35 Prozent angestiegen ist. Allerdings hat sich zuletzt die Nachfrage bescheiden gestaltet, da einige Expansionspläne aufgrund verschiedener Unwägbarkeiten gestrichen oder ausgesetzt wurden und die Mietpreise um mehr als zehn Prozent angewachsen sind. Colliers zu weiteren Details: „Die Vermietungsaktivität wurde durch die Neuverhandlung ausgelaufener Mietverträge sowie durch Vorvermietungen, hauptsächlich von Groß- und Einzelhandelsunternehmen sowie Logistikunternehmen, angetrieben. Trotz eines herausfordernden Jahres blieb der Leerstand das ganze Jahr über auf einem historischen Tiefstand und sank bis zum Jahresende auf 0,4 Prozent.“ Angesichts einer aktiven Baupipeline und einer leicht schrumpfenden Nachfrage wierde jedoch erwartet, dass der Markt im Jahr 2023 einen organischen Anstieg der Leerstände verzeichnen wird.
Ausblick auf 2023
Für 2023 rechnen die Analysten mit einer Verlangsamung der Investitionstätigkeit. Insgesamt wird erwartet, dass das Gesamtinvestitionsvolumen in den baltischen Staaten im Jahr 2023 unter der traditionellen Schwelle von einer Milliarde Euro bleiben wird. Die höheren Zinsen setzen dabei die Renditen unter Druck. Bei Büroflächen führt die Nachhaltigkeitsdebatte dazu, dass Gebäude mit geringerer Qualität künftig deutlich schlechter abschneiden werden. Im Office-Sektor ist Refurbishment angesagt, wobei es Fernarbeit den Unternehmen ermöglicht, eine größere Anzahl von Mitarbeitern im selben Büro unterzubringen, so dass sie in besser gelegene, hochwertigere und energieeffizientere Räumlichkeiten umziehen können, ohne dass die Gesamtkosten sinken. Im Einzelhandelssegment erwartet man bei Colliers, dass es zu einer verstärkten Rotation der Mieter in Einkaufszentren kommt: „Nach dem Ende der Pandemie nutzten die Mieter des Straßeneinzelhandels die Gelegenheit, um Leerstände zu füllen und in Einkaufszentren umzuziehen, was sich weiterhin negativ auf die Leerstandsquote im Straßeneinzelhandel auswirken wird.“ Versteckter Leerstand könnte sich in physischen Leerstand umwandeln, während die Zahl der Schuldner in allen Real Estate-Segmenten steigen wird. Sorgen bereitet im ganzen Baltikum nach wie vor die außergewöhnlich hohe Inflation - und das wird sich auch 2023 nicht ändern.

Die Sonne über dem Altstädter Ratslaukumsplatz in Riga, Lettland, kann nicht über die Wolken am Immobilienhimmel hinwegtäuschen, die vor allem der Zinsanstieg und die steigenden Energiekosten zu verantworten haben.

Eine Luftaufnahme der Altstadt von Tallinn, Hauptstadt von Estland, das sich kontinuierlich zum europäischen Pionier in den Bereichen CyberSecurity, Implementierung von IT-Anwendungen und Suchmaschinenoptimierung entwickelt. Weniger dynamisch ist die Immobilienwirtschaft auf dem kleinen Markt.
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